Asche und Staub: Roman by Viktor Remizov

Asche und Staub: Roman by Viktor Remizov

Autor:Viktor Remizov [Remizov, Viktor]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman, Belletristik, Gegenwartsliteratur
ISBN: 9783423430869
Herausgeber: dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
veröffentlicht: 2016-10-23T23:00:00+00:00


12

Die Menschen sind verschieden. Tichi fühlte sich krank. Als hätte er Fieber. Nicht einmal Fieber, sondern als schwelte etwas Wichtiges, von dem alles abhing, tief in ihm drin. Er verrichtete mechanisch irgendwelche Dinge, gab Anordnungen und trieb die Leute an, um seinen Stall auszumisten. Dabei ließ es ihn kalt, was aus seinem Posten würde. Etwas in seinem Inneren war so stark und bedrohlich, dass Tichi kein Gefühl mehr für das Leben selbst hatte. Er steckte in der Klemme. Er tat etwas, sagte etwas und erteilte Befehle, hörte zu und vernahm nichts.

Er trat aus dem Hauseingang, begab sich wie gewohnt zu seinem Auto, hielt jedoch inne. Steckte die Schlüssel wieder in die Tasche und ging über den kleinen Hof auf die Straße. Er wollte in sich hineinlauschen, verstehen, was es mit dieser inneren Unruhe auf sich hatte.

Der Himmel war fahlblau, doch die wenigen Straßenlampen, die noch heil waren, brannten bereits. Tichi ging nicht auf der Straße, sondern auf dem Trampelpfad, vorbei an den einstöckigen Häusern mit ihren Vorgärten. Die im Grunde leer und langweilig waren. Es gab fast nirgendwo Bäume. Hier und da schmiegten sich Sträucher an die Hauswände, und irgendwo – aber nur vereinzelt – spitzten gefrorene Blümchen aus dem Schnee heraus. Blumen wachsen hier nicht ohne Fürsorge, pflegte Tichi zu bemerken, wenn er die Hausfrauen lobte, deren Blumen gediehen. Vom Meer her zog feuchte Kälte, aber er spürte es nicht, schritt schwerfällig auf dem Trampelpfad aus und versuchte, an seine Belange zu denken, doch aus Gewohnheit dachte er daran, dass die halbe Straße ohne Licht war und man den Elektrikern Druck machen müsste, damit sie die Birnen einschraubten. Ein MAZ-Lkw holte ihn jaulend ein, der Fahrer bremste und lüftete die Mütze hinter dem Fenster. Tichi blickte ihn an, erkannte ihn nicht, winkte jedoch zurück. Der gnadenlos rußende Wagen umrundete die Schlaglöcher, fuhr weiter und bog über das mit hohem Unkraut bewachsene Brachfeld zum Tor der ehemaligen Konservenfabrik ab. Lang, lang war’s her. Über dem verrottenden Tor war ein unkrautüberwuchertes Blechschild befestigt: »Lenins Ideen leben ewig!« Wohin der wohl fährt?, dachte Alexander Michalytsch mechanisch.

Tichi verlor den Faden. Sein Kummer kam ihm wieder ins Bewusstsein, er verzog das Gesicht, konzentrierte sich, verlangsamte seinen Schritt, blieb stehen und schaute vor seine Füße, manchmal auch zur Seite. Er seufzte und setzte sich wieder in Bewegung, blickte sich um, ob ihn jemand beobachtete …

Da gehe ich durch die Komsomolstraße, wie viele Jahre schon? Er rechnete nach – fast siebzehn Jahre wohnte er schon in dieser Staatswohnung, zuvor sechs im Wohnheim. Zur Arbeit und zurück auf dieser ewig schadhaften Straße. Weder Frau noch Kinder. Weder freie Tage noch Brückentage. Tag und Nacht, ein Anruf, und er rannte los! Er blieb wieder stehen. Hier brannte keine Straßenlampe, und im Haus war kein Fenster erleuchtet. Neunundzwanzig Jahre bei der Miliz. Orden und Medaillen. Wofür das alles? Was hatte er davon? Seine Verstecke kamen ihm in den Sinn. Die Rechnung ging nicht auf. Sollte er sein ganzes Leben um dieser versteckten grünen Tausender willen verbracht haben … wie



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